In der Reihe „Außenseiter auf See“ navigieren wir durch die Gewässer der Geschichte und widmen uns der Vergangenheit unbekannter Helden der Seekriegsführung des 20. Jahrhunderts.
Diesmal richten wir unser Fernglas auf Mitteleuropa, wobei wir uns auf das standhafte Land Polen und die Entwicklung seiner Ostseeflotte angesichts überwältigender Widrigkeiten konzentrieren.
Polen, eines der ältesten und stolzesten Länder Europas, hat eine lange und reichhaltige Geschichte, die jedoch leider von ständigen Konflikten und territorialen Veränderungen geprägt ist. Obwohl die polnische Militärgeschichte größtenteils mit Landkriegen in Verbindung gebracht wird, hatte die Nation durch ihre Lage an der Ostsee eine fortwährende Beziehung zum Meer. Die maritime Tradition des polnischen Staates begann im 15. Jahrhundert, als das Königreich Polen nach einem Sieg über die Kräfte des Deutschen Ordens im 13-jährigen Krieg direkten Zugang zur Ostsee erhielt. Die Kontrolle über die wichtige Hafenstadt Danzig eröffnete erstmals die Gelegenheit, eine umfangreiche Flotte zu unterhalten.
Oliwą, 1627
Eine permanente polnische Marine sollte jedoch erst an die zwei Jahrhunderte später zustande kommen, da der polnische Adel und die Bürger von Danzig sich dem Vorhaben widersetzten, welches sie als Bedrohung ihrer Interessen sahen. Stattdessen war der Staat (damals in einer politischen Union mit Litauen) stark auf den Einsatz von Freibeutern angewiesen; dabei handelte es sich oft um kaufmännische Besatzungen, die in Kriegszeiten zu den Waffen griffen. Diese Strategie war sinnvoll für ein Land, das keine bedeutenden Ambitionen in Übersee hegte, und sie erwies sich als nützlich in der Seeschlacht von Oliva, als zehn polnische Kaperschiffe eine angreifende, sechs schwer bewaffnete Kriegsschiffe umfassende Flottille der schwedischen Marine besiegten.
„Wir werden über die Seeschlacht von Oliva am 28. November berichten, anlässlich des 100. Jahrestages der polnischen Marine!“ |
Neben einer kleinen stehenden Marine in den 1630er Jahren setzte Polen im 17. und 18. Jahrhundert weiterhin Freibeuter ein, bis die Polnisch-Litauische Union in Verfall geriet und 1795 schließlich zusammenbrach. Danach wurde das Land zwischen den mächtigen preußischen, österreichischen und russischen Imperien aufgeteilt. Die polnische Marine (und überhaupt ein unabhängiges Polen) sollte erst 123 Jahre später auftauchen.
Die Neugründung
1918 endete der Erste Weltkrieg in Europa, und die besiegten deutschen und österreichisch-ungarischen Reiche wurden vertraglich verpflichtet, auf die Vorherrschaft über das polnische Volk zu verzichten, das nun – über ein Jahrhundert nach dem Verlust der Kontrolle über sein Land – endlich einen neuen unabhängigen Staat gründete. Die Küstenlinie der neuen Republik war unwesentlich und umfasste etwa 100 km direkt nordwestlich von Danzig, während die Stadt selbst ein teilsouveräner deutscher Stadtstaat blieb. Dennoch wurden bereits wenige Wochen nach Ende des Ersten Weltkriegs Pläne ausgearbeitet, eine neue polnische Marine von Grund auf zu gründen.
ORP Mazur (V-105)
Dank der Nachkriegsverhandlungen erhielt Polen sechs kleine Torpedoboote, die direkt von der beschlagnahmten deutschen Marine übernommen wurden. Erfahrene Offiziere aus den Imperien, die Polen einst kontrolliert hatten, wurden in die neue Struktur der polnischen Marine integriert. Darüber hinaus wurden mehrere kleine Minenräumer und Kanonenboote aus dem Ausland gekauft. Im Vergleich zu den größten Rivalen (Deutschland und die Sowjetunion) war die polnische Flotte jedoch noch recht klein, und so wurden in den 1920er Jahren Pläne für den Bau einer neuen Flotte mit vier Kreuzern und zwölf Zerstörern vorgelegt. Haushaltsengpässe resultierten jedoch in einem abgeschwächten und weitaus weniger ambitionierten Programm.
Der Bau einer Reihe kleinerer Überwasserfahrzeuge begann in polnischen Werften, während größere Projekte an ausländische Unternehmen vergeben wurden. Grundlage war eine Kombination aus lokalen Entwürfen und Vorgaben der polnischen Marineingenieure. Von den 12 geplanten Zerstörern wurden nur vier fertiggestellt: zwei in Frankreich (Wicher und Burza) und zwei in Großbritannien (Grom und Blyskawica). Dazu kamen fünf U-Boote: drei in Frankreich (Wilk, Zbik und Rys) und zwei in den Niederlanden (Orzel und Sep).
Zweiter Weltkrieg
Die deutsche Invasion, die 1939 zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs führte, erwischte die polnischen Seestreitkräfte unvorbereitet, und sie hatten der weit überlegenen feindlichen Flotte nur wenig entgegen zu setzen. Obwohl es nur etwas mehr als einen Monat dauerte, bis sich die polnische Armee ergab und die Regierung ins Exil flüchtete, ermöglichte die schnell ausgeführte Operation Peking der polnischen Marine, ihren Kampf für den Rest des Konflikts fortzusetzen.
Credit: GrzegorzusLudi
Die Operation Peking
Angesichts hoher Spannungen und einer bevorstehenden sowjetisch-deutschen Invasion Polens begannen Gespräche zwischen britischen Vertretern und dem polnischen Oberkommando, mit der Absicht, vor dem unvermeidlichen Angriff von der Flotte zu retten, was zu retten war. Die daraus resultierende Operation mit dem Codenamen „Peking“ zielte darauf ab, polnische Kriegsschiffe aus der von den Deutschen dominierten Ostsee zu evakuieren und sicher nach Großbritannien zu steuern, wo sie sich der Kommandostruktur der Royal Navy anschließen konnten. Ende August, nur wenige Tage vor der Kriegserklärung, fuhren die Zerstörer Burza, Grom und Blyskawica an der Meerenge des Skagerrak vorbei in die Nordsee, beschattet von Patrouillen der deutschen Kriegsmarine. Sie erreichten die Küste Schottlands gerade, als der Krieg offiziell erklärt wurde.
Blyskawica, Grom, Burza
Von den vier im Dienst befindlichen polnischen Zerstörern blieben zwei (die Blyskawica und die Burza) bis zum Ende des Krieges erhalten und nahmen an der Seite der Home Fleet der Royal Navy aktiv an Marineeinsätzen teil. Sie dienten als Konvoieskorte, beschossen feindliche Stellungen an Land und lieferten sich Scharmützel mit deutschen U-Booten und Zerstörern. Die Wicher, die während der Operation Peking in der Ostsee blieb, wurde von deutschen Bombern versenkt, während sie die polnische Küste tapfer gegen überlegene Kräfte verteidigte. Die Grom wurde 1940 vor der Küste von Narvik ebenfalls durch einen Luftangriff versenkt, während sie die alliierte Invasion Norwegens unterstützte.
Weitere Informationen über die Schlacht um Narvik findet ihr hier in unserer zweiteiligen Serie. |
Der Orzel-Zwischenfall
Eine weitere bemerkenswerte Episode des noch jungen Krieges ereignete sich mit dem polnischen U-Boot Orzel als Hauptdarsteller. Es war ein Navigationskunststück, das bis heute in Erinnerung bleibt. Mitte September 1939 zog sich das 84 Meter lange U-Boot Orzel nach Schäden infolge aktiver Verteidigung der polnischen Küste unauffällig aus dem Kriegsgebiet zurück und lief den neutralen Hafen der estnischen Stadt Tallinn an. Dort angekommen, wurden schnelle Reparaturen durchgeführt, um die Orzel seetüchtig zu machen, und ihr befehlshabender Offizier wurde ins Krankenhaus gebracht, da er erkrankt war. Im Einklang mit internationalen Abkommen hätten die estnischen Behörden die Orzel 24 Stunden an der Ausfahrt aus dem Hafen hindern müssen, um einem deutschen Frachter die sichere Ausfahrt zu ermöglichen. Jedoch wurden die Orzel und ihre Besatzung – vermutlich auf diplomatischen Druck – gewaltsam interniert und alle Waffen und Navigationsausrüstung bis auf einige wenige Torpedos aus dem U-Boot entfernt.
ORP Orzel
Die Besatzung der Orzel, die unbedingt wieder auf See hinaus und den Kampf gegen die Deutschen führen wollte, schloss sich zusammen und plante die Flucht aus Tallinn. In der Nacht des 17. September schlichen sich polnische Besatzungsmitglieder an Land, sabotierten die Lichtanlagen des Hafens, nahmen zwei nahe Wachen gefangen und schnitten das lädierte U-Boot von seiner Vertäuung los. Die Orzel und ihre Crew entwichen dann unter Beschuss von Küstenbatterien aus dem Hafen und machten sich auf den Weg zurück in die Ostsee. Da es an Karten fehlte, konnten die Seeleute nur auf ihre Erinnerungen und eine Liste von Leuchttürmen zurückgreifen, um ihren Weg in britische Gewässer zu finden. Sie kamen fast einen Monat nach ihrer gewagten Flucht dort an.
Eine wachsende Flotte
Im fortwährenden Toben des Krieges wurde deutlich, dass die polnische Exilmarine in Großbritannien über genügend erfahrenes Personal verfügte, um das Kommando weiterer Schiffe zu gewährleisten. Zu diesem Zweck stellte die Royal Navy den Polen eine Reihe von Zerstörern, U-Booten und sogar zwei Kreuzer zur Verfügung. Der erste Kreuzer, der einer polnischen Besatzung anvertraut wurde (und damit das bis dato größte Schiff, das von der polnischen Marine in Dienst gestellt wurde) war der leichte Kreuzer Dragon der Danae-Klasse im Januar 1943.
Danae/Conrad
Nach mehrmonatiger Ausbildung der Besatzung leistete das Schiff Eskortdienste an den Versorgungslinien der Nordsee und unterstützte dann im Juni 1944 Truppenlandungen unter britischer Führung in der Normandie. Ihre erste Aufgabe war es, deutsche Verteidigungspositionen in der Nähe von Sword Beach zu beschießen. Dabei wurden im Laufe der ersten Wochen der Invasion Tausende von 152-mm-Runden abgefeuert, im Verbund mit den Schlachtschiffen Warspite, Ramilies und mehreren anderen Kreuzern. In den frühen Morgenstunden des 8. Juli wurde die Dragon von einem Torpedo getroffen, der von einem deutschen bemannten Torpedo ausging. Der entstandene Schaden war reparierbar, und es wurde beschlossen, das Schiff in Untiefen zu bewegen und in die Nähe der Stadt Arromanches zu bringen. Die überlebende Besatzung wurde zurück nach England gebracht und übernahm schließlich das Kommando über die Danae (ein Schwesterschiff der Dragon und die Namensgeberin ihrer Klasse), die daraufhin in Conrad umbenannt wurde. Die Conrad war für den Rest des Krieges im Dienst und wurde 1946 schließlich zusammen mit anderen ausgeliehenen Kriegsschiffen an die Royal Navy zurückgegeben.